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Die NeedforSpeed Evolution
29.03.2009 - masterJack
Ich befinde mich auf einer Landstraße. Bäume ziehen an mir vorbei. Hinter den Bäumen sind Felder zu sehen. Wenn ich über meinen Tacho auf die Straße schaue, erkenne ich eine lange Linkskurve die in Richtung eines Waldes zielt. Sie schneidet förmlich den Wald. Plötzlich klingelt mein Telefon, ich gehe vom Gas und drücke am Lenkrad für die Freisprech-Einrichtung. Es ist Ben. "Hey, wo steckst du?". Ich höre mich sagen: "County Hwy 5, Richtung Blount Springs". Ben klingt hektisch. "Du musst sofort herkommen. Tommy ist total ausgetickt. Er hat das mit Steve mitgekriegt. Er ist stocksauer auf ihn. Er ist gerade aus auf dem Weg zu ihm. Der will ihn fertigmachen, hörst du? Der tickt völlig aus! Du musst sofort herkommen." - "ok, ich bin auf den Weg, ich mach so schnell wie ich kann". Ich lege auf und schalte einen Gang runter. Der Motor heult auf und es machen sich 395 PS lautstark bemerkbar. Ich schaue auf meinen Tacho, die Tachonadel bewegt sich schnell und stetig Richtung 220 km/h. Die Linkskurve erlaubt nicht mehr. Ich merke wie die Fliehkraft mich in die rechte Seite meines Sitzes presst. Die Bäume links und rechts scheinen immer näher zu kommen. Sie fliegen förmlich immer dichter an mir vorbei. Als ich in den Wald komme und die Straße sich begradigt, drück ich wieder auf die Tube. 240, 260, 280. Die Schatten der Bäume tauchen mein Sichtfeld in ein negatives Stroboskopgewitter.
So oder ähnlich könnte eine Szene aus meinem Traum-NFS aussehen. Zugegeben, die Story ist sicher nicht jedermanns Sache. Es geht um Freundschaft, Verrat, Mädels und jede Menge heißer Kisten.
 Als ich 1995 - da war ich 16 Jahre alt - zum ersten Mal The Need for Speed spielte, da wusste ich, dieses Rennspiel wird mal ganz groß rauskommen. Ich hatte nur einen 486 SX 25. Wem das nichts sagt, es waren 25 Mhz Prozessortaktfrequenz ohne mathematischen Co-Prozessor. Wenn man das den heutigen Gigahertz-Rechnern gegenüberstellt wirkt es geradezu lächerlich. Ich konnte TNFS nicht mal in voller SVGA Auflösung spielen. Ich musste sogar Interlaced einstellen. Das bedeutet nur jede zweite Zeile wird dargestellt. Das Spiel machte trotzdem eine Menge Spaß. Es war das erste Spiel, welches 3D-modellierte Autos darstellte, man konnte entweder von außen fahren oder ins Cockpit gehen. Ich war meistens im Cockpit. Die waren einfach wunderschön. Keine leichtgemachten Renncockpits, die einfach aufgrund ihrer sparsamen Art und ihren zusätzlich angebrachten Öldruckmessern einfach hässlich aussehen, wie im derzeitigen Racedriver GRID. Nein. Diese Cockpits waren eine Augenweide. Es waren normale Seriensportwagen mit normal schöner Ausstattung. Schöne Ledernähte, geschwungene Armaturen, edle Tachooptik. Und wer das Cockpit eines Ferraris oder eines Mazda Supra von innen gesehen hat, weiß was ich meine. Zudem hatte dieses geniale neuartige Stück Rennspielsoftware eine bis dato einzigartige Fahrphysik. Realistisch, jedoch nicht zu anspruchsvoll. Wenn ich mich mit der Viper in eine Kurve gelegt habe, knarrte das Fahrwerk. Es knarrte! Man hatte das Gefühl, das Auto verbiegt sich um wenige Millimeter, wenn man zu optimistisch in eine Kurve ging, konnte man richtiggehend fühlen wie sich die breiten Schlappen in die Straße beißen.
 Was nach TNFS kam, ernüchterte mich wieder. Es wurde schlichtweg immer arcadiger. Ich hatte das Gefühl, dass das damalige Entwicklerteam "Road&Tracks" nicht mehr an Board war. Das EA-Logo prangte dafür umso größer auf der Packung. Zugegeben. Es gab noch immer kein besseres Rennspiel. High Stakes, Hot Pursuit, Hot Pursuit 2... all das waren Rennspiele die nach wie vor begeisterten. Aber ich hatte immer das Gefühl, das es immer einfacher wurde. NFS wurde immer arcadiger. Irgendwann verschwand auch das Cockpit. Es wurde ein Arcaderacer.
Need for Speed hat eine wahre Evolutionsgeschichte hinter sich, wie sie Darwin nicht besser beschreiben hätte können. Schwerpunkte wechselten andauernd. Mal gab es Polizeiverfolgung, mal nicht. Mal gab es ein Schadensmodell. Dann wieder nicht. Doch eines hatte jeder NFS-Titel. Für einen seltenen Moment, wenn der Motor aufheulte, oder wenn man kurz vor der Ziellinie noch ein packendes Duell hatte, gab es dieses bestimmte Feeling. Ein Gefühl, das alle Pixel verschwinden ließ. Etwas, dass einen Tunnelblick nicht nur optisch, sondern auch akustisch erzeugte. Es war nur kurz da, aber für einen Moment dachte man einfach 'JAAAAA'. Das ist es, was Need for Speed für mich ausmachte. Es war egal, ob mit oder ohne Polizeiverfolgung. Egal, ob Schadensmodell oder nicht. In diesen einen Moment war alles um einen herum absolut nebensächlich. Es existierte nicht. Man hatte das Gefühl, das Rennen seines Lebens zu fahren.
 Leider sind solche Momente extrem selten. Und leider immer seltener geworden. Alles wurde schneller, trendiger und künstlicher. Es ging nicht mehr darum ein Auto zu fahren, sondern ein extrem aufgemotztes Auto zu besitzen. Spoiler hier, Lackierung da, fette Alufelgen, Neon-Lichter. Keine schlechte Idee, um sich und seinen Wagen zu individualisieren. Meiner Meinung ist dies auch ein Element eines perfektes NFS, aber es darf nicht das eigentliche Thema verfehlen, nämlich das Fahren an sich.
 Wir haben Underground erlebt, Underground 2, Most Wanted, Carbon, Pro Street, dann Undercover. Wir haben erlebt, dass die Entwickler sich nie richtig entscheiden konnten, was sie denn machen sollten. Es schien gerade so, als ob Fans der Tuning-Szene mit Fans der Rennsport-Szene Jahr um Jahr eine Schlacht gewonnen oder verloren hätten. Das Entwicklerteam Black Box versuchte dabei das Setting so breit wie möglich zu gestalten. Heraus kamen Spiele, die sicherlich keine Konkurrenz hatten, aber auch Spiele, die immer weniger das übertrugen, was das allererste TNFS mit sich brachte. Fahrspaß. Wenn ich an die bunte nächtliche Szenerie an Underground denke, dann ist das praktisch exemplarisch dafür, was mit NFS geschah. Weg vom Fahrgefühl, her mit dem Lebensgefühl. Man wurde Streetracer!
 Doch ich will hier nicht von "früher war alles besser" sprechen. Jedes NeedforSpeed hatte seine Berechtigung. Es gab kaum ein Titel der NFS-Reihe, der wirklich schlecht war. Die Motorensounds sind in jedem NFS-Titel marktbeherrschend. Die 3D-Modelle der Autos suchten seinesgleichen. Das Setting war konkurrenzlos. Carbon möchte ich an dieser Stelle nicht erwähnen. Ups, ich habs doch getan. Also Carbon war meiner Meinung nach der wirkliche Tiefpunkt. Undercover war dagegen wenigstens eine missglückte Idee. Prinzipiell war Undercover gar nicht schlecht gedacht, sondern nur schlecht gemacht. Es gab lange Highway -Straßen, eine frei befahrbare Stadt, Tuning, eine Undercover-Story usw. Es war nur miserabel umgesetzt. Worauf ich hinaus will ist die Evolution. Ein Titel wie NFS, der stetig versucht sich neu zu erfinden, muss einfach hier und da ein paar Titel mitbringen die nicht so gut sind. Das ist neunmal so in einer Evolution. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass die Entwickler besser in der Lage wären, Elemente zu erkennen, die gut waren, die man hätte übernehmen können. Warum musste das Cockpit verschwinden? Warum gab es irgendwann kein Replay mehr? Warum wurde nicht die Fahrphysik der besten Titel beibehalten? Warum kann man nicht Titel für Titel das Spiel aufbauen, statt es immer neu zu erfinden. Nun, die Antwort liegt sicherlich in der programmiertechnischen Machbarkeit. Man kann keine Fahrphysik aus dem ersten TNFS nehmen und in ein neues High Stakes einbauen. Auch wenn ich mir das gewünscht hätte. Aber man hätte nicht vergessen dürfen, was denn an TNFS so toll war. Nämlich, dass sich jeder Wagen einfach echt anfühlte. Es machte einen Unterschied, ob man mit einem getuntem Honda in die Kurven ging oder mit einem Serienporsche. Das alles wurde auf Kosten des Lifestyles aufgegeben.
 Wie sieht die Zukunft aus bei NFS? Nach den letzten Jahren musste etwas geschehen. Und es war gut, dass das Black Box Team den Haupttitel für NFS abgeben musste. Weiß Gott was Black Box nun vor hat. Tatsache ist, dass die Evolution von Need for Speed nun wieder in Richtung Fahrspaß geht. Das Cockpit kommt zurück, und es wird schöner als in GRID, es wird schöner als in jedem anderen Rennspiel. Die angehauchte Simulations-Fahrphysik kommt zurück. Weniger Arcade. Das ist gut so. Und wenn viele meinen, es wäre kein NeedforSpeed, nur weil die Cops fehlen, dem muss ich sagen, gönnt NFS einen radikalen Schnitt. Lasst den Fahrspaß wieder kommen. Scheiß auf die Polizei. Wenn ich das Gefühl habe in einem echten Sportwagen zu sitzen und die Positionskämpfe voller Adrenalinausschüttung aufwarten, ja dann immer her damit.
 Ich bin sicher, dass die Evolution NFS weiter geht. Vielleicht haben wir irgendwann ein Spiel was alles vereinigt. Cockpits, Polizeiverfolgung, Landstraßen, Story, Schadensmodell, Replay, Tuning. All das in einem Spiel, wäre das NonPlus-Ultra. Und ich bin mir sicher, EA und die NFS-Strategen, haben viele Erfahrungen sammeln können. Und irgendwann werden diese Leute auf den Trichter kommen und sagen, hey es geht um Emotion, lasst uns ein NFS machen, wo es um keine komische Rennkarriere geht. Lasst uns ein Rennspiel machen, wo es um eine Frau geht, oder um eine dramatische Geschichte um einen Freund. Lasst uns den Hauptcharakter in einem Cockpit setzen und ihn über Landstraßen heizen, die Polizei im Nacken und lasst ihn spüren, wenn er die Kurve zu schnell nimmt und sein Auto zerfetzt wird.
Und damit wären wir wieder am Anfang meines Artikels. Du, auf einer Landstraße, ein Anruf kommt, du gibst Gas und spürst das Auto.
29.03.2009 - masterJack
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